Dieser Beitrag ist als Antwort auf die von Thorolf Lipp begonnene Diskussion im Emailverteiler der Arbeitsgruppe Visuelle Anthropologie der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde entstanden. Zugegeben, der Beitrag klingt vielleicht manchmal naiv, unreif oder gar dekonstruktiv, dafür will ich mich hier schon entschuldigt und vorweg nehmen: eine Ethnologie, die visuell arbeitet liegt mir sehr am Herzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sind folgende Zeilen entstanden:
Visuelle Anthropologie: Eine Disziplin die glücklicherweise keine (mehr) ist?!
Die Bedingungen für Visuelle Anthropologie sind nicht schlechter geworden. Genaugenommen sollte man sogar konstatieren, dass sie wohl niemals besser waren. Die Gründe dafür sind Vielfältig: ein neues Bildverständnis, ein Interesse komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen um Globalisierungsprozesse zu verstehen oder die Neu(Entdeckung) des Fremden,um nur einige zu nennen. Dementsprechend, so meine saloppe Schlussfolgerung, steigt auch die Nachfrage an ‚Produkten‘ mit dem Label Visuelle Anthropologie. Doch was ist das eigentlich? So richtig will diese Frage in der hier geführten Diskussion scheinbar niemand beantworten (jedoch müsste m.E. darüber wohl viel eher gesprochen werden). Als Definition wird sich oft damit geholfen, visuelle Anthropologie als das zu bezeichnen, was Ethnologen oder Ethnologinnen produzieren, wenn sie mit Fotoapparat oder Kamera ausgerüstet losziehen um Ethnologie zu betreiben. Dass diese Definition unzureichend ist, liegt auf der Hand. Noch erschreckender ist es dann, wenn man bei der Auseinandersetzung mit Visueller Anthropologie feststellen muss, dass die meisten Filme die sich dem Genre verschriebene haben, nicht das halten, was sie versprechen. Das soll keine Fundamentalkritik an bestehen Arbeiten sein, sondern verweist eher auf die konzeptuellen Problem die man hat, wenn man aus einer Methode/Repräsentationsform eine Disziplin machen will.
Erstellt man etwa eine Liste aller deutschen „Visuellen Anthropologen“, ist es erstaunlich, dass jede/r zumeist nur ein, vielleicht zwei Filme im Repertoire aufweisen kann. Darüber hinaus sind diese Filme dann oft auch Erstlingswerke, die als Abschlussarbeiten in einem Masterstudium (oder einer anderen Ausbildung) entstanden sind. Die weitere Karriere wird dann entweder bestritten, indem man über Visuelle Anthropologie schreibt und reflektiert, oder indem man als Filmemacher tätig ist, jedoch die Produkte eher nicht als Visuelle Anthropologie bezeichnen will. ((Das ist natürlich nur eine radikale Vereinfachung und damit sollte sich niemand persönlich angesprochen fühlen. Trotzdem scheint es erschreckend, mit wie wenig praktischer Erfahrung man zu einem „Visuellen Anthropologen“ wird.)) Kurz auf den Punkt gebracht – und hier ist auf den Beitrag von Jay Ruby verwiesen – Enough already!
Anders als die (Text)Ethnographie, die aus der Ethnologie geboren ist, bleibt das Visualisieren oft bei unzureichenden Versuchen, die darüber hinaus ein sehr spezielles Publikum benötigen und eben nicht den gleichen Grad an Professionalität bieten können, wie Filme von ausgebildeten Filmemachern.
Das heißt nicht, dass Visuelle Anthropologie nicht weiterhin kritisches Potential entwickeln muss: so sollte über Inhalte reflektieren werden, oder über methodische Einfälle und Fehlschläge. Filme von Ethnologen sollten jedoch, wie Ethnographie im Allgemeinen, als ein Form des Ethnologie-machens verstanden werden. Sie sollten also nicht von einer (kleinen) Gruppe „ausgebildeter“ Experten beschlagnahmt werden (es würde auch keiner auf die Idee kommen Ethnographie in Form von Text als Disziplin zu bezeichnen). Anders als hier in der Diskussion vorgeschlagen, würde ich entsprechend jeden empfehlen „auch mal einen Film zu machen“. Damit würden wahrscheinlich nicht nur eine Menge anregender Filme entstehen, sondern auch neue Wege der Reflexion über die eigene Arbeit (letzteres scheint fast immer aus solchen Versuchen hervorzugehen). Diese Aussage scheint zunächst wie ein Widerspruch: Visuelle Anthropologen bitte keine Filme mehr machen und alle Ethnologen bitte Visuelle Anthropologie betreiben.
Diese Schizophrenie versteht man, wenn man die Diskussion der letzten Monate nicht als Etablierung einer scheinbar unbeachteten Disziplin, sonder als Forderung die Visuelle Anthropologie als Form der Repräsentation von ethnologischem Wissen zu etablieren, liest. Bei diesem Punkt muss man sich jedoch eingestehen, dass viele Dokumentarfilme (manchmal sogar „große“ Kinofilme) besser Repräsentationen schaffen (aus Angst hier gleich zu viel Kritikfläche zu schaffen, nenne ich keine Beispiele und verweise auf Filme, die aus eigenen Erfahrungen herangezogen werden können). Solche Filme müssen freilich kritisch betrachten und diskutiert werden, sind aber oft besser Ausgangspunkte als die Werke vieler Ethnologen (das sieht man auch daran, dass in der Ausbildung Visuelle Anthropologie, fast ausschließlich Klassiker herangezogen werden müssen, um einen Punkt zu machen). Hier scheint es also wichtig den Staub endlich richtig abzuschütteln und über neue Formen der Repräsentation und damit auch der Kooperation nachzudenken, damit ethnologisches Wissen über visuelle Formen wirklich zugänglich gemacht werden kann.
Mit diesen Betrachtungen will ich also zwei Erwartungen an die Visuelle Anthropologie aussprechen (die freilich nicht neu sind, jedoch nicht immer ganz klar formuliert sind). Die eine, ist sie als Werkzeug zu verbreiten, welches von jedem erlernt, erprobt und angewendet werden sollte (damit wird auch die irreführende Frage, was eine solche Ausbildung für den Arbeitsmarkt bringen könnte aus dem Weg geräumt). Dass dafür ein Korpus an methodologischer Literatur vorhanden sein muss, scheint selbstverständlich und sollte Ziel der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sein. Die zweite Erwartung an Visuellen Anthropologie, ist es mögliche Repräsentationsform zu finden, die es schaffen ethnographisches Wissen zu visualisieren. Hier muss sich jedoch eingestanden werden, dass die Ethnologie allein dazu nicht in der Lage ist. Auch wenn das Filme machen in den letzten Jahren immer billiger und einfacher wurde, es gehört eben mehr dazu als mit einer Kamera ins Feld zu gehen. Technische, ästhetische und dramaturgische Expertise muss sich aus diesem Grund entweder erkauft werden (und in der Tat muss hier die Förderung reformiert werden) oder in zusätzlichen Ausbildungen mühsam und langsam erlernt werden.
All das lässt zum Schluss auf folgende Aussage schließen: die Visuelle Anthropologie ist zurecht keine Disziplin. Vielmehr Methode oder Repräsentationsform, die glücklicherweise immer häufiger im Repertoire von Ethnologen zu finden ist, oder zumindest dort aufgenommen werden soll. Ein wirklicher Beitrag wäre es nicht sie weiter zu schließen, sondern sie weit über die Fächergrenzen zu öffnen. Wie das gelingen kann, sollte in vielen weiteren fruchtbaren Diskussionen gemeinsam erarbeitet werden.