Avatar – Ein ethnologischer Blockbuster oder Von edlen Wilden, Kolonialismus und der Macht um Wissen

Die Geschichte ist schnell erzählt: Auf der Suche nach neuen Ressourcen hat die Menschheit einen Planeten – Pandora – gefunden, auf dem ein wertvolles Gestein vorkommt. Die Kolonialisierung und Ausbeutung des Planten wird von dem gierigen Eroberer Parker Selfridge geleitet, der durch die Armee von Colonel Miles Quaritch unterstützt wird. Die angenommene Überlegenheit durch Technologien und dem Wissen um die wertvollen Mineralien müssen vor allem gegenüber den Na’vi eingesetzt werden. Diese sind menschenähnlichen Bewohner des Planeten und blockieren mit ihrer Behausung (einem riesigen Baum) ein großes Vorkommen des wertvollen Gesteins. Da die Na’vi als primitiv gelten gibt es kein Bestreben ihnen Rechte zu gewährleisten und eine Umsiedlung steht außer Frage. Nur das Format der Umsiedlung ist unklar. Neben einem militärischen Angriff versucht ein Forscherteam mit den Na’vi in Kontakt zu treten, indem sie in die Körper dieser schlüpfen, bzw. in ihre Avatare.

Das alles klingt nach einer klassischen Situation aus der ethnologischen Fachgeschichte. Die primitiven Wilden (oder besser die edlen Wilden) stehen der Kolonialisierung ihres Gebietes entgegen, so dass Wege und Formen gefunden werden müssen, diese aus dem Gebiet zu vertreiben oder sie durch Transformationsprozesse auf die Bedürfnisse der Neuankömmlinge einzustellen. Da das Einsetzen von Gewalt aus verschiedenen Gründen (im Film ethisch und aus PR-Gründen) nicht die angestrebte Lösung sein kann werden Wissenschaftler damit beauftragt so viel wie möglich über die Fremden zu erfahren. Als Methode dient die teilnehmende Beobachtung, dessen oberstes Ziel es ist den „Wald durch die Augen der Na’vi zu sehen“.

Diese letzten Sätze könnten leicht die Einleitung einer Ethnographie sein. Aus diesem Grund lohnt es sich den Film auf seine ethnologische Tiefe zu überprüfen. Dabei bleibt er freilich eine Hollywood-Produktion, ausgestattet mit einer bestimmten Dramaturgie über Liebe, Kriege und Intrigen. Zwei Fragen die auf die Probleme und Erfolge der Wissensproduktion um das Fremde hinweisen, sollen hier aber gestellt werden. Jack Sully, der Protagonist des Films, schafft es das Vertrauen der Na’vi zu bekommen. Anfänglich soll er dieses Nutzen um möglichst viele Informationen für einen Angriff zu sammeln, sollte eine Umsiedlung nicht gelingen. Dieses going native wird für ihn jedoch eine intensive Erfahrung, die ihn auf die Seite der Na’vi schlägt. Jetzt kämpft er gegen die Eindringlinge und versucht alles um die feindliche Übernahme zu verhindern. An dieser Stelle steht die Frage, welche Rolle die gesammelten Daten von Jake Sully für beide Seiten spielen. Tatsächlich kann damit der militärische Angriff vorbereitet werden, weil nun die Schwachstellen und mögliche Angriffspunkte bekannt sind. Viel wichtiger jedoch ist das Sully erst den ausschlaggebenden Punkt für den Angriff gibt. Nach mehreren Monaten bei den Na’vi eröffnet er in seinem Feldtagebuch (bzw. Video-Log), dass eine Umsiedlung nicht funktionieren wird. Damit wird eine ‚diplomatische Lösung‘ unmöglich und der Angriff beginnt. Auf der anderen Seite verliert Sully durch den Verat das vertrauen der Na’vi, weiß jedoch relativ schnell, wie er dieses zurück bekommen kann. Er nutzt eine vorher erlernte Symbolik, indem er schafft auf den größten aller Vögel (Toruk) zu fliegen und wird damit Anführer des Kampfes (und zu Toruk Makto). Sully hat sich einen Vorsprung gegenüber beiden Seiten geschaffen. Er weiß wie es um die Technologien und Waffen der Menschen gestellt ist und er weiß wie er die Na’vi motivieren kann sich gegen die Angreifer zu wehren. Dies ist eine klassische Situation innerhalb der Ethnologie. Am Anfang des 20. Jahrhunderts hat ein solcher Wissensvorsprung  dazu geführt das Kolonien durch eine Minderheit unterdrückt und regiert werden konnten. Diese historische Negativbesetzung hängt dem Fach noch immer an, obwohl längst versucht wird solche multiplen Perspektiven zur Verfügung zu stellen um bessere politische oder wirtschaftliche Entscheidungen zu erzeugen.

Die Geschichte ist also alt und man kann ihr sogar vorwerfen, dass sie im Film immer wieder an Komplexität verliert. Wenn sie nicht gerade in den Klassikern der Ethnologie gesucht wird, kann sie auch in den Büchern Karl Mays gefunden werden. In einer Rezension auf Spiegel Online liest man:

Denn natürlich muss in einem Indianerfilm weniger geforscht als gekämpft werden. Auch wenn sich Sully, wie Old Shatterhand, schließlich auf die Seite der Wilden schlägt. Nicht zuletzt deshalb weil er sich wie Old Shatterhand in eine von ihnen verliebt.

Ist eine Geschichte erst einmal so angelegt begibt man sich auf einen schmalen Grad. Avatar bietet verschieden Angriffspunkte, die von Kommentatoren breit diskutiert werden. Auf der einen Seite ist da die Anklage des Rassismus. Die „edlen Wilden“ bzw. ihre computeranimierten Remakes werden fast ausschließlich von Afroamerikanern oder Schauspielern dessen Vorfahren Indianer waren gespielt (siehe: Heaven & filmkinotrailer.com) . Diese Kritik scheint etwas weit hergeholt, nicht zuletzt, weil der Zuschauer nur schwer in der Lage sein wird dies mitzubekommen. Eine zweite Kritik von Annalee Newitz hinterfragt die Sichtweise aus der die Geschichte erzählt wird. Hier kann – wie oben beschrieben – tatsächlich hinterfragt werden, warum Jake Sully als Protagonist ausgewählt wurde und nicht etwa eine Na’vi Perspektive. Somit kommt sie zu dem Punkt:

„Science fiction is exciting because it promises to show the world and the universe from perspectives radically unlike what we’ve seen before. But until white people stop making movies like Avatar, I fear that I’m doomed to see the same old story again and again.“

Doch auch solch eine Kritik ist zu leicht. Avatar spielt mit den unterschiedlichen Perspektiven. Schließlich schlüpft Jake Sully in die Rolle der Na’vi (und das im wörtlichen Sinne, denn er bekommt auch ihren Körper) um dann mehrer Male kläglich zu Scheitern bevor er langsam versteht in was für einem Kontext er sich befindet. Gleichzeitig werden (auch wenn unzureichend) die verschiedenen Sichtweisen der Na’vi klar. Und so ist es tatsächlich ein Science Fiction Film, der es schafft die Probleme aber auch die Notwendigkeit um das Wissen des Fremden massentauglich zu machen. Und nicht zuletzt ist das Ende des Films ein Sieg über den Kolonialismus (im Gegensatzen zu den vielen Beispielen aus den Gesichtsbüchern) welcher nur durch das Schaffen und Zusammenbringen der verschiedenen Perspektiven ermöglich wird, eben durch die Nutzbarmachung ethnologischen Wissens.

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Mehr über die Beziehung des Films zur Ethnologie schreibt Kerim Friedman & David Price

Der Trailer zum Film:

  1. Danke für den Artikel!

    An Beobachtungen möchte ich hinzufügen, dass auch der Konflikt zwischen Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften thematisiert wird. Der Grund des Scheiterns der Biologin im Zugang zu den Navi, obwohl sie empirisch arbeitet, ist die fehlende Bereitschaft zum Eintauchen in die fremde Kultur.

    Dies wird durch zwei Dinge symbolisiert: zum einen die Kleidung, die die Biologin und ihr Assistent als Na’vi tragen (typisch amerikanisch-naiv dargestellt, warum sollte man als Avatar Kleidung tragen?!). Zum anderen in dem Dialog zwischen den Hauptprotagonisten, in dem die weibliche Navi dem Avatar Scully vorwirft, dass man den Menschen nichts beibringen kann, weil „es schwierig ist, in ein volles Gefäß noch mehr zu reinzufüllen“. Jake antwortet darauf, dass er ein „leeres Gefäß“ sei, weil er kein Wissenschaftler ist. Dies stellt die Navi zufrieden und sie gestatten ihm den Zugang zu ihrer Lebensweise.

    Ansonsten fand ich die Verwendung der teilnehmenden Beobachtung als Schlüssel zur Konfliktlösung im Film sehr spannend umgesetzt. Selten wurden ethnologische Themen so massentauglich verpackt, und trotzdem im Kern erhalten.

  2. Eins noch – ich habe auch eine kritische Sicht auf die naive ästhetische Darstellung des „Fremden“ in Avatar. Gesichtsbemalung, Rastalocken, ethnische Gesänge zu schamanischen Ritualen und Bongo-Instrumente im Orchester-Soundtrack des Films sind Stereotypen, die das Außerirdische mit irdischen Exotismen gleichsetzen. Die Stilelemente sind noch nicht offen rassistisch und dummdreist in Szene gesetzt wie etwa in den neuen Star Wars Filmen von George Lucas, aber etwas mehr echt außerIRDISCH wirkendes Fremdes hätte Avatar durchaus gut getan. Aber ein Amerikaner bleibt ein Amerikaner bleibt ein Amerikaner, selbst wenn er James Cameron heißt.

  3. Erst einmal vielen Dank für die Gedanken.

    Ich hätte vor allem eine andere Perspektive im Film spannend gefunden. Wäre die Geschichte tatsächlich von der Na’vi-Perspektive erzählt, könnte man das ‚Komische‘ am menschlichen Verhalten thematisieren. Aber zumindest kann man Empathie entwickeln mit den Na’vi, da die Geschichte doch schon eine Weile bei ihnen stattfindet.

    Man müsste mal nachzählen, aber ich bilde mir ein, dass man etwas mehr Menschen ‚kennenlernt‘ (im Gegensatz zu den vielen anonymen Gesichtern) als Na’vi, was leider wieder ein ‚Perspektivenproblem‘ ist.

    Erfrischend anders ist der Animationsfilm „Planet 51“, bei dem die „Landung“ eines menschlichen Astronauten auf einem Planeten aus der Perspektive der Bewohner dieses Planeten dargestellt wird und die ‚Ausserirdischheit‘ mal umgekehrt wird.

    Dann noch ein frohes Gelingen im Blog.

  4. Vielen Dank für die Kommentare (und hoffentlich kommen noch weitere dazu). Ich sehe dies natürlich ähnlich und bin dankbar für die Ergänzungen.

    Ich habe noch einen interessanten Beitrag gefunden, der die Beraterrolle von Nancy Lutkehaus (Ethnologin an der University of Southern California) beschreibt. Scheinbar ist sie zum Teil für die Rastalocken, Gesichtsbemalung und Gesänge der Na’vi verantwortlich: http://www.counterpunch.org/price12232009.html

  5. Danke für den Artikel.

    an die anderen Kommentatoren: oh, diese bösen Amerikaner, die!

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